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Agiles Arbeiten und Lernagilität – eine himmlische Verbindung?

Meinung
Fokus auf Lernagilität

Agiles Arbeiten und Lernagilität – eine himmlische Verbindung?

Sinn und Unsinn der (Lern-)Agilität

Von: Evelien Schram und Jan Meijning

Agiles Arbeiten, eine agile Mentalität und lernagile Mitarbeiter. Der Term Agility ist mittlerweile allgemein bekannt und schon längst kein Modebegriff mehr. Immer mehr Unternehmen richten ihre Arbeitsabläufe agil ein. Nicht nur in der IT-Abteilung, sondern im gesamten Unternehmen. Sucht man in Google nach Agile HR oder Agile Marketing, kann man sich vor Artikeln kaum retten. Wenn man sich als Unternehmen dazu entschließt, agil zu arbeiten, braucht man dann lernagile Mitarbeiter oder ist das Unsinn?

Warum auf agile Arbeitsmethoden umsteigen?

Das agile Arbeiten ist mittlerweile in vielen Unternehmen zum Standard geworden, warum ist diese Methode so beliebt? Die Vorteile vom agilen Arbeiten scheinen auf der Hand zu liegen und die Ergebniskomponente ist dabei der stärkste Motivator. Jeder kennt wohl Beispiele von Projekten (früher häufig im IKT-Bereich), die sich ewig in die Länge ziehen und zum Schluss nicht mehr den aktuellen Anforderungen entsprechen, weil der ursprüngliche Plan längst überholt ist. Wenn man in kleineren Schritten vorgeht, regelmäßig erfolgreiche (Teil-)Ergebnisse liefert und überprüft, ob diese funktionell sind und den Anforderungen des Kunden sowie dem gewünschten Endergebnis entsprechen, werden schnellere, kreativere und pragmatischere Lösungen gesucht und gefunden. Veränderungen aufgrund von technologischen Entwicklungen, Globalisierung und/oder wirtschaftlichen Bedingungen entstehen in immer schnellerer Abfolge. Wenn man flexibel auf diese Veränderungen eingeht, kann das Unternehmen seine Führungsposition beibehalten.

Eine Geschichtsstunde – das Agile Manifesto

2001 (vor fast zwei Jahrzehnten!): Ein paar Software-Experten ziehen sich einige Tage lang in die verschneiten Berge in Utah zurück. Sie sind überzeugt davon, dass man bei der Software-Entwicklung wesentlich praktischer und sinnvoller vorgehen kann als bisher.

Nach diesem Treffen verfassen sie eine Erklärung, in der sie erläutern, wie man effizient und schnell arbeiten kann, um im Rahmen eines (Software-Entwicklungs-)Projekts das bestmögliche Resultat zu erzielen. Anstatt der Erstellung eines umfangreichen Plans, der anschließend minutiös ausgearbeitet und dann Schritt für erledigt wird, bis das Projekt abgeschlossen ist, sollten kleine (multidisziplinäre) Teams in kurzen Sprints an (Teil-)Ergebnissen arbeiten und diese konstant reflektieren, um schließlich das gewünschte Ziel zu erreichen. Sie veröffentlichten das Agile Manifesto:

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Im gesamten Unternehmen agil arbeiten

In vielen Unternehmen wurden die agilen Arbeitsmethoden natürlich zunächst von den IT-/Entwicklungsabteilungen angewendet. Allerdings erscheint es logisch, auch in anderen Bereichen auf die agile Arbeitsweise überzugehen. Die Begriffe Agile HR oder Agile Marketing mögen zunächst etwas seltsam klingen, aber in einer Welt, die sich immer schneller verändert, sind (traditionelle) Arbeitsverfahren oft nicht mehr ausreichend, weil sie zu langsam oder zu schwerfällig sind. Wer nicht auf neue technologische Entwicklungen und veränderliche Kundenanforderungen reagieren kann, verpasst den Anschluss. Das gilt nicht nur für die IT, sondern auch für die anderen Abteilungen eines Unternehmens.

Den Anschluss verpassen oder nicht?

Es gibt mehr als genug Beispiele (großer) Unternehmen, die untergegangen sind, weil sie sich nicht schnell genug an die neue Realität anpassen konnten. Wir möchten keine Namen nennen, aber wenn man als Bekleidungswarenhaus zu spät und zu träge auf neue Online-Chancen reagiert, muss man mit Problemen rechnen. Der Kunde gewöhnt sich rasch an Neuheiten und geht leichtherziger zur Konkurrenz oder zu neuen Anbietern über als man gedacht oder gehofft hatte. Wenn man als Unternehmen flexibler arbeiten kann, ist man in der Lage, auf Marktanforderungen hin den Kurs schneller zu ändern. Aus diesem Grund wollen immer mehr Unternehmen agil arbeiten. Man sieht immer mehr Stellenbezeichnungen, die auf agilen Arbeitsmethoden basieren: Scrum Master, Product Owner oder sogar Vibe Manager. Unabhängig von den neuen Titeln, die man heutzutage auf LinkedIn findet, ist die Arbeit in (multidisziplinären) Teams, die schnell schalten können, Raum bekommen, um Dinge auszuprobieren und konstant (Teil-)Ergebnisse liefern, eine Bereicherung für die Schlagkraft von Unternehmen.

Ein flexibles Unternehmen mit Lernagilität

Zunächst die Definition: Lernagilität ist die Fähigkeit, auf Grundlage neuer Erfahrungen schnell neue und effektive Verhaltensweisen zu entwickeln und diese in der Praxis einzusetzen. Es handelt sich dabei um eine Form von Lern- oder Veränderungsfähigkeit oder Lern- oder Veränderungspotenzial. Menschen, die bei der Lernagilität hohe Ergebnisse erzielen, lernen in neuen Situationen mehr und schneller. Sie profitieren besser von ihren Erfahrungen und sind ständig auf der Suche nach neuen Herausforderungen. Sie bitten um Feedback, um daraus zu lernen, und erkennen Muster in unbekannten Situationen. Sie schalten andere effektiv ein, um Erfahrungen zu begreifen und mit Sinn zu versehen.

Noch eine Geschichtsstunde – Lernagilität

Lernagilität ist längst kein neuer Begriff mehr und sie hat eine längere Geschichte, als (in Europa) allgemein angenommen wird. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts tauchte der Begriff in Amerika auf und die Lernagilität wurde vor allem im Zusammenhang mit dem Thema Leadership gemessen. Merkwürdigerweise wurde zu diesem Zweck das 360-Grad-Feedback angewandt. Obwohl es zunächst unlogisch erscheinen mag, zukünftiges Führungspersonal zu suchen, indem man die aktuellen Qualitäten betrachtet, wurde die Methode rasch akzeptiert. In Studien wurde schon bald nachgewiesen, dass eine ausgeprägte Lernagilität Rückschlüsse auf das erfolgreiche (Arbeits-) Verhalten in einer unbestimmten Zukunft zulässt. Die Lernagilität wird in fünf Dimensionen gemessen:

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Agiles Arbeiten mit lernagilen Mitarbeitern?

Braucht man flexible, lernagile Mitarbeiter, wenn man als Unternehmen mit einer agilen Methode arbeitet? Ja und nein. Agiles Arbeiten ist eine Arbeitsmethode. Die Methode selbst ist festgelegt, ausgesprochen richtungsweisend und verfügt über allgemein erkennbare, deutliche Regeln und Elemente. Sie ist also im Grunde genommen sehr exakt. Von A nach B und eventuell zurück nach A und über C wieder nach B aber immer in festgelegten Schritten und mit vorgezeichneten Elementen. Lernagilität ist die Fähigkeit, unter veränderlichen Bedingungen immer wieder in kurzer Zeit neue und effektive Lösungen zu finden und diese direkt anzuwenden. Agiles Arbeiten als exakte, deutlich beschriebene Arbeitsmethode und Lernagilität als flexibles Lern-/Veränderungspotenzial scheinen also, wenn man von dem Modewort Agility einmal absieht, wenig Gemeinsamkeiten zu haben. Für eine festgelegte Arbeitsmethode muss man nicht unbedingt flexibel sein. Oder?

Neue Erfahrungen – veränderliche Bedingungen

Der Schein trügt. In diesem Zusammenhang kommt den Worten neu und Veränderung große Bedeutung zu. Lernagile Menschen können besser mit Veränderungen umgehen und rufen diese sogar bewusst hervor. Sie lernen, schneller und effektiver mit der veränderlichen alltäglichen Realität umzugehen. Um zur Basis zurückzukehren, war dies natürlich der Beginn der agilen Arbeitsmethoden. Die Fähigkeit, als Unternehmen schneller und flexibler zum verlangten und vor allem zum noch nicht verlangten Ergebnis zu kommen.

Genau in diesem Aspekt besteht der Zusammenhang zwischen agilem Arbeiten und Lernagilität. Nicht in der agilen, vorgeschriebenen Arbeitsmethode an sich, sondern im wie und warum. Fast alle Arten von agilem Arbeiten (Scrum, Lean etc.) bedienen sich der folgenden Elemente: Zusammenarbeit in (multidisziplinären) Teams, Lieferung verwendbarer Teilergebnisse, Spielraum, um zu experimentieren und Fehler zu machen, Kommunikation und Transparenz, Reflektion und Bitten um Hilfe, wenn man selbst keine Lösung findet. Also genau die Dinge, bei denen die Lernagilität eine bedeutende Rolle spielt!

Muss jeder ausgesprochen lernagil sein?

Studien haben nachgewiesen, dass Menschen mit einer hohen Lernagilität in unbekannten Situationen nicht nur schneller lernen, sondern dass sie häufig auch aktuell bessere Leistungen zeigen. Wenn man als Unternehmen auf agile Arbeitsmethoden übergeht, ist es vorteilhaft, wenn man über eine Gruppe von Mitarbeitern mit einer hohen (oder höheren) Lernagilität verfügt. Ein solcher Übergang bedeutet eine beträchtliche Veränderung für die Mitarbeiter und erfordert eine gute Portion Lern-/Veränderungsfähigkeit, um eine effektive und erfolgreiche Umsetzung zu gewährleisten. In Zeiten, in denen unmissverständlich klar ist, was von einem erwartet wird, in denen die Arbeiten routinemäßig verlaufen und es keine oder kaum Veränderungen gibt, muss man nicht unbedingt lernagil sein.

Es gibt sogar Berufe, in denen Personen fehl am Platze sind, die konstant experimentieren wollen. Ein Fluglotse oder ein Kranführer, der plötzlich denkt, er müsse etwas Neues ausprobieren? Lieber nicht! Es gibt noch viel mehr Berufe, in denen Mitarbeiter, die flexibel und experimentell eingestellt sind, nicht unbedingt erwünscht sind.

Allerdings gilt auch für diese Berufe: die Welt von heute ist nicht mehr statisch. Heutzutage wird man in fast allen Berufen mit Veränderungen konfrontiert. Auch als Fluglotse, Pilot, Monteur oder Kranführer muss man mit veränderlichen Aufgaben und Bedingungen umgehen können. Je lernagiler man ist, desto müheloser und schneller kann man sich darauf einstellen. Anders ausgedrückt: Die Lernagilität sagt nicht direkt etwas darüber aus, wie kompetent der Kranführer mit dem aktuellen Kran umgeht, sondern eher darüber, wie schnell er sich an die Arbeitsweise mit einem neuen Kran gewöhnt.

Agiles Arbeiten und Lernagilität – eine gute Verbindung?

Eine himmlische Verbindung klingt vielleicht etwas übertrieben, aber die Kombination von agilem Arbeiten und Lernagilität hat sicherlich einige Vorteile. Der Sinnspruch „schnell versagen und schneller dazulernen“ passt perfekt sowohl zum agilen Arbeiten als auch zur Lernagilität. Auch die Wichtigkeit der oben erwähnten Basiselemente agiler Arbeitsmethoden, wie Zusammenarbeit und Reflektion, erfordern ein hohes (oder höheres) Maß an Lernagilität.

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Die hellblauen Begriffe sind von Bedeutung für agile Arbeitsmethoden und passen perfekt zu den unterschiedlichen Dimensionen der Lernagilität.

Wer über eine Kombination der oben genannten Eigenschaften verfügt, kann schneller und effektiver schalten, wenn etwas neues oder unerwartetes gefordert wird. Das ist Lernagilität. Auf einer Versammlung von IT-Fachkräften zum Thema Lernagilität sagte jemand: „Also könnte man behaupten, dass ich mit agilem Arbeiten auch an meiner Ergebnisagilität arbeite“! Auch wenn das sehr vereinfacht dargestellt ist, können sich agiles Arbeiten und Lernagilität gegenseitig auf jeden Fall verstärken.

Kann man Lernagilität entwickeln?

Ja, zum Glück! Für die Messung der Lernagilität wird berücksichtigt, wer man im Kern ist und was man erreichen will oder was einem wichtig ist, möglicherweise werden auch aktuell Verhaltensweisen in der Praxis mit einbezogen.

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Wenn man diese Elemente miteinander kombiniert, entsteht ein vollständiges und nuanciertes Gesamtbild. Misst man die Lernagilität nur aufgrund von Persönlichkeit/Potenzial, nur aufgrund von Motivatoren oder nur aufgrund von aktuellen Verhaltensweisen, erhält man kein Gesamtbild der Person. Wenn man sich ausschließlich darauf richtet, was jemand kann, berücksichtigt man nicht, was jemand will. Misst man andererseits nur die aktuellen Verhaltensweisen, um auf deren Grundlage das effektive Verhalten in einer unbestimmten Zukunft vorherzusagen, bietet auch das keine umfassende Perspektive.

Selbstreflektion als Entwicklungsförderer

Es lohnt sich auf jeden Fall, die Lernagilitätsdimension der Selbstreflexion unter die Lupe zu nehmen. Bei der Selbstreflexion geht es darum, inwieweit jemand seine Stärken und Schwächen kennt und den Drang hat, sich weiterzuentwickeln. Deswegen wirkt sich die Selbstreflektion auf die anderen Dimensionen aus. Logisch, denn wenn man sich selbst kennt und sich weiterentwickeln will, handelt man schneller und effektiver, wenn sich die Bedingungen verändern. Dann ist es von Vorteil, dass die Lernagilität entwickelt werden kann und nicht unbedingt eine unveränderliche Eigenschaft ist.

Schlussfolgerung – Agiles Arbeiten und Lernagilität, eine himmlische Verbindung?

Eine feststehende Arbeitsmethode, agil oder nicht, hat im Grunde nichts mit Lernagilität zu tun. Es handelt sich dabei schlicht und ergreifend um eine Arbeitsmethode. Wenn allerdings unabhängig von der Arbeitsmethode von einem verlangt wird, intensiv und transparent in einem Team zusammenzuarbeiten, zu experimentieren, mit komplexen Sachverhalten umzugehen und zu festgelegten Zeitpunkten deutliche Ergebnisse zu liefern, erfordert das bestimmte Eigenschaften. Agiles Arbeiten setzt in überdurchschnittlichem Maße auf Elemente, wie Teilen von Kenntnissen, Beobachten von Ergebnissen, Fördern der eigenen Entwicklung und Finden von Lösungen.

Wenn man täglich kommuniziert, was man gerade tut, und in der Lage ist, rasch die Richtung zu wechseln, ist die Lernagilität grundsätzlich von Vorteil. Eine Person, die über mehr Lernagilität verfügt, kann mit solchen Situationen besser umgehen und hat sogar Spaß daran, wenn nicht alles vorher bekannt ist. Diese Personen fordern mehr Feedback und Interaktion als Menschen mit weniger Lernagilität. Anders ausgedrückt: lernagile Menschen lernen schneller und effektiver in neuen Situationen und somit auch in Unternehmen, in denen agil gearbeitet wird.

What is Learning Agility? Video ansehen - Learning Agility in 90 seconds (EN)

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